
Misophonie ist keine Krankheit, sondern eine Überempfindlichkeit gegenüber bestimmten Geräuschen – auch wenn diese verhältnismässig leise sind. Zusammengesetzt aus den Worten «Miso» (Hass) und «Phonia» (Ton), bedeutet Misophonie wörtlich «Hass auf Geräusche». Diese Form der Geräuschempfindlichkeit ist noch wenig erforscht, lässt sich aber wahrscheinlich auf psychische Ursachen zurückführen.
Wer unter einer Misophonie leidet, kann gewisse Geräusche kaum ertragen. Typische Beispiele hierfür sind Schmatzen, Kauen, Schluckgeräusche, wiederholtes Klicken oder auch Reibgeräusche auf Stoff, Holz oder Glas. Geräusche, die als unangenehm empfunden werden, können unabhängig von ihrer Lautstärke zu starken Reaktionen führen. Dabei reicht die Bandbreite der Emotionen von einfachem Missfallen bis hin zu starken Aggressionen.
Die Ursachen einer Misophonie sind noch nicht abschliessend geklärt. In manchen Fällen lässt sie sich auf eine Erfahrung zurückführen, welche Menschen in ihrer Kindheit gemacht haben. Auch traumatische Extremsituationen können zu einer Misophonie führen. In beiden Fällen lassen sich die verhassten Geräusche auf eine Verknüpfung des Gehirns zwischen dem Geräusch und einem schlechten Gefühl bei einem Erlebnis zurückführen. Bei posttraumatischen Störungen werden durch Geräusche jedoch häufig Gefühle der Angst ausgelöst, was eher auf eine Phonophobie hindeutet.
Symptome einer Misophonie sind im Allgemeinen eher Ekel, Wut und Aggression. Fachleute gehen davon aus, dass die Geräuschintoleranz in diesem Fall auf eine Fehlverknüpfung ohne Trauma zurückzuführen ist, die gewisse Geräusche mit emotionalen Reaktionen verbindet. Aus diesem Grund sind die Kontrolle über die eigenen Emotionen sowie die Fähigkeit, sich aktiv zu entspannen, für Betroffene besonders wichtig.
Misophonie ist ein verhältnismässig junges Phänomen und in medizinischen und psychologischen Kreisen noch wenig bekannt. Hörakustiker, HNO-Ärzte, Psychologen und Psychiater sind aktuell dabei, die Intoleranz gegenüber alltäglichen Geräuschen und passende Behandlungsmethoden zu erforschen. Klar ist, dass dieses Leiden nicht zwingend auf ein einprägsames, möglicherweise traumatisierendes Erlebnis zurückzuführen ist. Eine weitere spannende Erkenntnis betrifft Geräusche, welche als unangenehm oder auch nicht störend empfunden werden. So ertragen Misophoniker teilweise Geräusche wie das Kauen eines Apfels nicht, allgemein als anstrengend bewertete Geräusche wie Baby-Geschrei rufen jedoch keine negative Reaktion hervor. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass verhasste Geräusche bei Betroffenen eine Verknüpfung zu einem Hirnareal herstellen, das für emotionale Reaktionen zuständig ist – die vordere Hirnrinde. Es könnte also sein, dass eine Art Fehlschaltung des Hirns zu starken Abwehrgefühlen führt. Eine Verknüpfung im Hirn kann jedoch nicht einfach umgestaltet werden. Aus diesem Grund muss die Behandlung einer Misophonie zum Ziel haben, die eigenen, sehr starken Gefühle kontrollieren zu lernen.
Was nicht zum Einsatz kommen sollte, sind Medikamente. Auch sollten Misophoniker sich bewusst sein, dass dieses Phänomen noch wenig bekannt ist und deswegen immer wieder Fehldiagnosen gestellt werden. In der Vergangenheit kam es bereits dazu, dass statt Misophonie ADHS, Hyperakusis, Hochsensibilität oder Depressionen diagnostiziert wurden. Dies kann für Betroffene sehr belastend sein. Wir raten Ihnen deswegen bei Unsicherheiten dazu, Misophonie bei Ihrem spezialisierten HNO-Arzt oder Hausarzt direkt anzusprechen. Ist ihm diese Form der Geräuschinteloranz unbekannt, kommt es logischerweise zu einer Fehldiagnose.
Besonders wichtig ist es, die Thematik offen anzusprechen. Erklären Sie Ihrem Umfeld, was Misophonie ist, welche Geräusche bei Ihnen starke Reaktionen auslösen und wie sie sich dabei fühlen. Ansonsten kann eine Misophonie im schlimmsten Falle dazu führen, dass Sie eine Phonophobie entwickeln, also eine Angst gegenüber Geräuschen, und sich von Ihrem Umfeld abkapseln. Vielen Betroffenen hilft es, dass sie einen Namen für ihre Ablehnung von Alltagsgeräuschen haben. Das Wissen, mit dieser Problematik nicht alleine zu sein, kann sehr beruhigend sein. Zudem sind Angehörige und Freunde oft toleranter gegenüber dieser Form der Überempfindlichkeit, wenn sie von einem Mediziner oder einer Medizinerin diagnostiziert wurde.
Bei Kindern kann Misophonie ebenso autreten wie bei Erwachsenen. Häufig machen sich erste Symptome im Alter von zehn bis zwölf Jahren bemerkbar. Das gemeinsame Essen am Tisch wird beispielsweise aufgrund der Kaugeräusche zur Qual für ein Kind, das durch Schule etc. bereits unter Stress steht. Fachleute raten dazu, nicht mit Zwang auf die Geräuschintoleranz von Kindern zu reagieren. Dies kann zu einer Verstärkung der Symptome führen. Eine Geräuschtherapie oder eine andere therapeutische Massnahme kann Kinder in ihrer Entwicklung unterstützen. Wichtig ist es, dass Kinder die Fehlschaltungen in ihrem Hirn verstehen. Dadurch können Unsicherheiten behoben werden, Emotionen und Auslöser lassen sich besser trennen und eine Beruhigung ist leichter möglich. Auf Aussagen wie «Reiss dich zusammen» sollten Eltern in jedem Fall verzichten. Dies steigert den Leidensdruck von Betroffenen und führen dazu, dass sie sich missverstanden fühlen und immer weiter zurückziehen.